Strassburger Richter rügen Schweizer Demonstrationsverbot

Wie notwendig die Aufarbeitung diverser Grundrechtsverletzungen der letzten zwei Jahre ist, zeigt ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Das Strassburger Gericht kritisiert in dem am 15. März 2022 publizierten Urteil, dass die Schweizer Behörden unverhältnismässig entschieden haben, da der Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit als zentrales Gut einer Demokratie schütze.

Am 16. März 2020 wurde nicht nur eine auf den 1. Mai angekündigte Demonstration verboten, sondern den Organisatoren wurde die Durchführung öffentlicher Kundgebungen während zweieinhalb Monaten untersagt. Dagegen hat die Genfer Dachorganisation der Gewerkschaften, die «Communauté Genevoise d’Action Syndicale» Klage eingereicht und nun vor dem EGMR Recht bekommen.1

Wir erinnern uns an viele behördliche Entscheide in der Schweiz, insbesondere Demonstrationen gegen Corona-Massnahmen zu verbieten, obwohl die Entscheide Art. 22 BV (Gewährleistung der Versammlungsfreiheit) verletzten. Wie viele willkürlichen Entscheidungen von Behörden wurden von Schweizer Gerichten überhaupt inhaltlich geprüft, geschweige denn aufgehoben?

Nun hält der Strassburger Gerichtshof fest, dass das Genfer Demonstrationsverbot unverhältnismässig zu den angestrebten Zielen war. Das Gericht rügt insbesondere, dass die Entscheidung der Regierung nicht von den Gerichten auf ihre Verhältnismässigkeit überprüft worden ist. Insbesondere die Order, während zweieinhalb Monaten keine öffentliche Kundgebung mehr durchführen zu dürfen, sei «rechtswidrig und zu radikal».2

Wo bleibt der Aufschrei der Schweizer Politikerinnen und Politiker angesichts dieses Strassburger Urteils? Wir müssen selber aktiv werden, um die Geschichte dieses Unrechts aufzuarbeiten. Das Urteil des EGMR macht Mut.

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